19. November 2025

 „Das Wichtigste ist die Gesundheit.“ Was oft nur als Floskel so daher gesagt wird, bekommt meist dann wirkliche Bedeutung, wenn der Körper eben doch mal nicht mitspielen will und wir wegen Verletzungen oder Krankheiten lahm gelegt sind. Auch andere Stillstände durch unvorhersehbare Ereignisse wie zum Beispiel die Corona-Pandemie stellen uns mental vor echte Herausforderungen. Aus der Traum! Die ganze investierte Zeit und Energie – umsonst?! Das mag dann vermutlich vielen im ersten Moment durch den Kopf gehen. Und zwar völlig zurecht! Wir sind keine Maschinen, keine Laptops oder Smartphones, die man einfach per Knopfdruck komplett herunter- und im nächsten Moment wieder hochfahren kann. Ganz im Gegenteil. Denn egal ob wir nun wegen Corona, wegen einer Verletzung oder wegen einer Krankheit eine Zwangspause einlegen müssen: die psychologischen Mechanismen, die sich dabei abspielen, sind sehr ähnlich. Wie beim Aufladen des Smartphone-Akkus gibt es einige Dinge, die wir bei einem derartigen unfreiwilligen Stillstand beachten können, um nach einer solchen Zeit wieder mit voller Energie durchzustarten. Hier deshalb sieben Anti-Burnout-Tipps für trainings- und wettkampffreie Zeiten.

Tipp 1: Lass es raus und sprich darüber! 

Wer wütend oder traurig ist, soll das erstmal rauslassen! Das ist nicht nur menschlich, sondern ganz wichtig, um nicht in eine Negativspirale zu rutschen. Nutze hier dein gesamtes Umfeld (Freunde, Familie, Trainer, Teamkameraden) – gemeinsam leidet es sich leichter. Doch Vorsicht vor Schwarzmalern. Diese ziehen dich eher noch mehr nach unten. Umgib dich deshalb gezielt und vermehrt mit Optimisten und halte mehr Kontakt zu diesen. Die Corona-Krise ist auch deshalb so speziell, weil wir auf ein Virus zwar wütend sein können, es jedoch nicht so richtig greifen können. Eine mögliche zweite Strategie gegen die innere Wut ist deshalb, dem Virus ein Gesicht zu geben. Dazu sucht man sich einen Gegenstand, der für einen stellvertretend für das Virus steht und den man kaputt machen kann. Beispielsweise könnte man eine Klopapierrolle nehmen und all seine Wut daran rauslassen. Wem das etwas zu verrückt ist, dem mag vielleicht die folgende dritte Möglichkeit besser gefallen. Dazu brauchst du nichts weiter als einen Zettel und einen Stift. Denn wie Studien zeigen, reduziert es nachweislich Angst, Wut und Stress, wenn wir unsere Gefühle in einer Art Gefühlstagebuch aufschreiben. Der Hintergrund ist der, dass wir Gefühle anders verarbeiten, wenn wir uns derer bewusstwerden und sie niederschreiben. 

Oft helfen diese drei Strategien im Umgang mit negativen Emotionen schon. Wenn du dann aber doch merken solltest, dass dich das gerade doch mehr beschäftigt und runterzieht als dir gut tut, zögere nicht, professionelle Unterstützung von einem Sportpsychologen in Betracht zu ziehen. Keine Sorge: Entgegen eines leider noch sehr häufig verbreiteten Irrglaubens, müsst ihr bei einem Sportpsychologen weder „auf die Couch“, noch müsst ihr von eurer Kindheit oder euren Träumen erzählen. Ganz im Gegenteil! Es hat schon seinen Grund, warum so viele Leistungssportler einen persönlichen Sportpsychologen in ihr Trainerteam aufgenommen haben. Ein Erstgespräch ist zumeist kostenfrei, sodass man sich erstmal ganz ungezwungen kennenlernen und hinterher entscheiden kann, ob man weiter zusammenarbeiten möchte.

Tipp 2: Mach Schwimm-Detox!

Je nachdem, wie sehr dich die so eine Zwangspause runterzieht, kann es auch gut tun, das Thema Schwimmen erstmal für eine klar begrenzte Zeit (sprich diese mit deinem Trainer ab!) in “Quarantäne” zu schieben, sprich: sämtliche Schwimm-WhatsApp-Gruppen stumm schalten, Instagram-Profilen “entfolgen” usw. Jetzt wäre auch mal Zeit für andere schöne Dinge, die sonst in deinem Schwimmer-Alltag nicht so viel Platz haben. Zum Beispiel könntest du das Buch lesen, das dir deine Oma vor drei Jahren geschenkt hat. Du könntest mit einer der zahlreichen Sprachenlern-Apps eine Fremdsprache des Landes lernen, in das du gerne mal reisen möchtest oder auch anderen deine Unterstützung anbieten – z.B. indem du den Tupperschüssel-Schrank deiner Mutter aufräumst. Für andere da zu sein und ihnen zu helfen, wirkt sich positiv auf unseren Selbstwert aus. Gerade durch die Corona-Zeit sind so manche Plattformen aus dem Boden gestampft worden, bei denen man seine helfende Hand sinnvoll einsetzen kann, so z.B. indem man für unterstützungsbedürftige Menschen einkaufen geht, bei der Ernte hilft oder älteren Mitmenschen sein offenes Ohr schenkt.

Tipp 3: Reflektiere! 

Für alle, die mit einer Zwangspause eigentlich schon gut zu rechtkommen und für alle anderen nach ihrem Detox geht es darum, nach vorne zu blicken: Wie soll es nun weitergehen? Direkt zu Hause (zumindest im Trockenen) weitertrainieren oder doch erstmal eine gezielte Pause machen? Hierfür solltest du dich mit deinem Trainer abstimmen, in erster Linie aber zunächst mal ganz ehrlich zu dir selbst sein: Was möchtest du, was brauchst du jetzt? Was tut dir gerade gut und was nicht? Wie steht es um deine Motivation? Vereinfacht lassen sich da zwei Typen unterscheiden: die einen können schneller abhaken und ihren Blick nach vorne richten, die anderen hängen dem geplatzten Traum länger nach. Beides ist völlig in Ordnung, beides benötigt jedoch kurz- und mittelfristig unterschiedliche Herangehensweisen. Gehe also in dich und spüre, ob dein Traum in dir noch lebt und es dich schon wieder anfängt zu kitzeln – oder du eben doch gerade erstmal etwas Abstand benötigst. Nichts wäre schlimmer als jetzt einfach blind weiter zu trainieren, nur dass dir dann Mitten in der nächsten Saison klar wird, dass eigentlich gar keine Motivation mehr vorhanden ist. Mach erst weiter, wenn du merkst, dass das Feuer langsam wieder zu lodern beginnt.

Tipp 4: Konzentriere dich auf Dinge, die du ändern kannst!

Wenn wir eines im Leistungs- oder Wettkampfsport lernen, dann ist es, dass Widrigkeiten, Hindernisse, Fehlschläge bis hin zum totalen Versagen irgendwie dazugehören (hierzu seien zum Beispiel die beiden Bücher von Michael Phelps wärmstens empfohlen). Andernfalls wäre das Gewinnen wahrscheinlich auch einfach nicht so schön und die Gier nach Erfolgen entstünde wohl kaum. Entsteht die aber immer und bei jedem? Nein! Ob aus dem Umgang mit Sieg oder Niederlage neue Motivation erwächst, ist abhängig davon, wen oder was wir für das Ergebnis verantwortlich machen. Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang von Attributionsstilen. Glaube ich, dass ich mir alles selbst eingebrockt habe (sogenannte internale Attribution) oder sind andere dafür verantwortlich (sogenannte externale Attribution). Interessanterweise unterscheiden sich Menschen darin, worin sie die Ursachen für Ereignisse eher sehen. Die sogenannten Misserfolgsorientierten weisen im Misserfolgsfall gerne jegliche Verantwortung von sich („Meine Trainerin ist schuld!“, „Der Starter hat zu leise gepfiffen!“) oder vermuten, dass sie sowieso nichts an ihrer Situation ändern können („Ich bin und bleibe ein schlechter Brustschwimmer!“). Im Falle von Erfolg sehen sie diesen entweder in Zufall begründet („Das war einfach Glück!“) oder glauben zwar, dass sie selbst dafür verantwortlich sind. Allerdings lag das dann an einer unveränderbaren eigenen Eigenschaft („Ich bin einfach schon immer ein großartiger Lagenschwimmer!“), was ziemlich blöd ist, wenn man dann doch mal ein Lagenrennen verbockt. In allen Fällen entsteht dadurch für die Motivation ein ziemliches Problem: wenn ich eh nichts ändern kann, warum soll ich mich dann darum bemühen? Langfristig zeigt sich deshalb in Studien, dass Misserfolgsorientierte nicht nur im Sport auf Dauer weniger erfolgreich sind, sondern auch z.B. im Berufsleben. Auf der anderen Seite stehen die Erfolgsorientierten. Deren Attributionsmuster ist langfristig deutlich besser für die Motivation. Sowohl im Falle eines Erfolgs als auch im Angesicht einer Niederlage, geht der Blick erstmal nach innen auf veränderbare Ursachen: Habe ich oft und hart genug trainiert? Habe ich umgesetzt, was ich gemeinsam mit meiner Trainerin erarbeitet habe? Welche Dinge könnten noch besser laufen? Im besten Falle finden sie hier noch einige Stellhebel. Wenn nicht, darf oder sollte auch bei Erfolgsorientierten im Falle einer Niederlage ruhig mal jemand anderes oder ganz einfach nur das Pech verantwortlich sein. Getreu dem Motto: Wenn nicht alles gegeben habe, kann ich mir nichts vorwerfen. Das trifft auch auf die Corona-Zeit zu: Kann ich als Sportler etwas dafür tun, dass die Schwimmhallen wieder öffnen oder dass bald wieder Wettkämpfe stattfinden? Nein! Kann ich aber meine Situation trotzdem irgendwie verbessern, sodass ich die schwimmfreie Zeit besser nutze als meine Konkurrenten? Auf jeden Fall! Konzentriere dich also auf Dinge, die du verändern bzw. verbessern kannst und nicht auf solche, die außerhalb deines Wirkungskreises liegen. Zwangspausen sind also auch Gelegenheiten, um an seinem erfolgsorientierten Attributionsstil zu arbeiten. Worauf wartest du noch? Nimm einen Stift und einen Zettel und notiere alles, was du aktuell verbessern/verändern kannst auf die eine Seite und Dinge, die nicht in deiner Macht liegen, auf die andere. Als nächstes kannst du noch die veränderbaren Faktoren nach ihrem möglichen Nutzen für dich und dem persönlichen Aufwand sortieren. Alle Dinge, die leicht umzusetzen und von denen du dir zudem einen größeren Effekt versprichst, setze als erstes um (das sind die sogenannten „Quick Wins“). Denke beim möglichen Nutzen ruhig etwas breiter und langfristiger. Das können dann nämlich neben sportlichen Effekten auch positive Auswirkungen auf deine persönliche Entwicklung haben.

Tipp 5: Plane und strukturiere! 

Als nächstes solltest du diese Gedanken mit deinem Trainer/deiner Trainerin und mit deinen engsten Vertrauten (Eltern/PartnerIn) teilen. Mach dir gemeinsam mit deinem Trainer einen Plan, wie die nächsten Wochen und Monate aussehen können. Du bist von heute auf morgen aus einem hochstrukturierten Alltag (Schule und mehrmaliges Training pro Woche) in einen weitaus weniger strukturierten Tagesablauf gestoßen worden. Diese Freiheit mag im ersten Moment “cool” sein, kann aber nicht nur erwiesenermaßen Ängste auslösen, sondern auch zu seelischer Unruhe und Unausgeglichenheit führen. Du solltest deinem neuen Alltag also eine klare Struktur geben: Wann stehst du auf? Wann gehst du zu Bett? Wann sind deine Arbeitszeiten (Job/Schule)? Wann trainierst du? Beim Aufstellen dieses Plans kann dir auch der Artikel zum Thema Zielsetzung aus der letztjährigen Frühjahrsausgabe helfen. Mach den Plan unbedingt schriftlich, das erhöht die eigene Verbindlichkeit. Und sei beim Planaufstellen und -umsetzen kreativ und lass dich auch von anderen Trainern/Sportlern/Sportarten anregen. 

Tipp 6: Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Taten!

Diese etwas verkürzte Form eines Zitats aus dem Talmud trifft recht genau, was die Psychologie heute über die Effekte von Selbstgesprächen weiß und ist eine sehr gute Strategie, die uns im Erreichen unserer erstellten Pläne unterstützen kann. Es geht dabei allerdings nicht nur darum, sich die Welt ausschließlich schön zu reden. Denn das ist sie nicht, wenn man eine Zwangspause einlegen muss. Nutze zunächst Aussagen, die klarstellen, wie doof diese Situation ist („Ja, das ist gerade ziemlich hart und herausfordernd und ich würde nun viel lieber ins Wasser springen.“). Das ist wichtig, um sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. Ansonsten wirken Selbstgespräche nicht. Im nächsten Gedankenschritt überlege dir dann aber die Frage: Wie kannst du dich heute, im Hier und Jetzt, am besten auf deinen persönlichen Neustart vorbereiten? („Was kann ich heute tun, um ein klein wenig näher an mein Ziel zu kommen?“). Gibt es vielleicht noch „Quick Wins“, die du jetzt direkt angehen kannst? Wenn nicht, darfst du dich auch gerne an die etwas größeren Projekte wagen, also an jene Dinge deiner Liste von Tipp 4, von denen du dir einen großen Nutzen versprichst, die aber etwas aufwändiger zu erreichen sind. Aber auch hier gilt: Beginn mit kleinen Teilzielen statt gleich den ganz großen Wurf zu versuchen.

Tipp 7: Sei dankbar!

Ein letzter Tipp, ist es, bewusst dankbar zu sein. Auch hierbei geht es nicht darum, sich das Blaue vom Himmel zu loben und sich die Welt schöner zu machen als sie ist. Allerdings greifen gerade bei Zwangspausen einige psychologische Mechanismen ineinander, die uns eher zu negativ auf die Welt blicken lassen, in der Corona-Zeit war das beispielsweise, dass die Bedrohung nicht sicht- und greifbar ist, Pandemien selten sind, wir aus unserem Überlebenstrieb heraus zu Gefahrüberschätzung neigen und Angst wiederum das rationale Denken lähmt. Diesen daraus erwachsenden negativen Gedanken zumindest ein klein wenig Rationalität entgegenzusetzen, ist nicht nur sinnvoll, sondern wurde auch schon mehrfach wissenschaftlich belegt. Beispielsweise gingen Leute, die sich regelmäßig über einen Zeitraum von mehreren Wochen drei Dinge notierten, wofür sie in ihrem Beruf dankbar sind, nach diesem Zeitraum lieber morgens zu Arbeit als eine Vergleichsgruppe, die sich nicht in bewusster Dankbarkeit übte. Diese Methode kann uns also helfen, besser durch eine Krise oder Zwangspause zu kommen. Setze dich dazu anfangs alle zwei bis drei Tage, später dann täglich vor dem Schlafengehen hin und notiere dir, wofür du an dem vergangenen Tag dankbar bist. Zu Beginn genügt es, eine Sache aufzuschreiben, mit etwas Übung werden dir schnell zwei, drei oder mehr Dinge einfallen. 

Dass ein erzwungener Stillstand nicht einfach ist, bestreitet niemand. Aber vielleicht hilft es sich, vor Augen zu führen, dass genau solche Situationen die Spreu vom Weizen trennen. Die zahlreichen Geschichten und Anekdoten vieler Top-Athleten zeigen, dass es genau solche Momente waren, die sie stärker, manchmal gar für die Geschichtsbücher unsterblich werden ließen: Ob das nun die Geschichte vom US-amerikanischen Sprintspezialisten Rowdy Gaines ist, der sich bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau vier Goldmedaillen ausrechnet, dessen Land jedoch entscheidet, die Spiele zu boykottieren. Gaines denkt ans Aufhören, kämpft jedoch weiter und erfüllt sich vier harte Jahre später in Los Angeles seinen Traum vom olympischen Gold. Oder die ähnlich märchenartige Erzählung von Anthony Ervin, der 2006, sechs Jahre nach seinem ersten Olympiasieg, mit einem abgebrochenen Studium, Drogenproblemen und keinem Geld auf dem Konto mit dem Rücken zu Wand steht; dann durch die Arbeit als Schwimmlehrer die Liebe fürs nasse Element zurückgewinnt und schließlich 2016 in Rio nochmals Gold aus dem Becken fischt. Solche und ähnliche Geschichten zeigen uns, was der  Formel-1-Fahrer Lewis Hamilton einmal wie folgt ausdrückte: Manchmal muss man erst verlieren, um zu lernen, wie man gewinnt. Zwangspausen und ähnliche schwierige Zeiten werden vorüber gehen. An deren Ende werden wir zurückblicken, mit dem Kopf schütteln und entweder bedauern, was wir dadurch verpasst haben – oder stolz darauf sein, dass es uns auf unserem Weg zum Ziel trotz all der Widrigkeiten weitergebracht hat. Du allein entscheidest, welche dieser beiden Varianten bei dir zutreffen werden.

 

Dieser Artikel erschien in der Sommer-Ausgabe 2020 des swimsportMagazine. Alle noch verfügbaren Ausgaben der Zeitschrift für den Schwimmsport können im großen swimsportMagazine-Paket bestellt werden. Zum Sonderpreis erwarten euch hier mehr als 1500 Seiten geballtes Schwimmwissen -> Das swimsportMagazine-Paket